Was bedeutet "Gender" für die Arbeit der eSw?
Geschlechtergerechtigkeit ist ein zentrales Ziel der eSw. Jungen wie Mädchen werden geschlechtsbewusst und -reflektierend gefördert und gefordert. Ziel ist ihre Entwicklung zu vitalen, gesellschaftskritisch und sozial engagierten Männern und Frauen. Im Rahmen der pädagogischen Angebote der eSw erproben Mädchen und Jungen differenzierte Geschlechterrollen, überwinden stereotype Handlungsstrategien, Werte und Leitbilder und bringen ihre eigenen, spezifischen Ressourcen geschlechtsreflektierend ein (Doing Gender).
Praxis
Geschlechtsbewusste Mädchenarbeit wurde seit den frühen 1980-er Jahren und Jungenarbeit wenige Jahre später zum zentralen Arbeitsauftrag. Beides gehört zum pädagogischen
Alltag der eSw. Eine Aufgabe, die sich in schulbezogener Tagungsarbeit, offenen Angeboten und Projekten der eSw bis hin zu umfangreichen Fortbildungsangeboten
und jugendpolitischer Arbeit manifestiert. Die geschlechtsspezifische Arbeit der eSw findet sich übergeordnet im Bereich der Jungen- und Mädchenarbeit/
Jugendarbeit auf Landesebene in NRW wieder, die die eSw maßgeblich mit aufgebaut hat. Gender Mainstreaming und Gender Budgeting bestimmen als
Rechtliche Grundlagen (in Nordrhein-Westfalen)
(vgl. Homepage der LAG Jungenarbeit NW, Fachstelle Jungenarbeit NW, Text Alexander Mavroudis, Renato Liermann)
Der Auftrag zur geschlechtsbezogenen Arbeit ist seit 1990 im SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) verankert. Nach § 9 Abs. 3 haben die Träger der Jugendhilfe bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben den Auftrag, die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern“.
Das betrifft – im Sinne einer Querschnittsaufgabe – alle Leistungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe!
Damit sind Träger ebenso wie Fachkräfte gefordert, vorhandene Programme und Angebote zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Und die örtlichen öffentlichen Träger der Jugendhilfe müssen darüber nachdenken, wie es gelingen kann, diesen Prozess zu fördern und entsprechende geschlechtsbezogene Angebote zu initiieren.
Gleichwohl lässt sich rückblickend feststellen, dass dieser gesetzliche Auftrag in der Praxis zunächst wesentlich unter dem Gesichtspunkt der „Mädchenförderung“ wahrgenommen und umgesetzt wurde – und es nur wenige Initiativen zur geschlechtsbezogenen Förderung von Jungen seitens der Träger und Fachkräfte gab.
Ein wichtiger Impuls für die quantitative und qualitative Entwicklung der Jungenarbeit in Nordrhein-Westfalen war deshalb die Reform des Landesjugendplanes 1999 und die damit einhergehende Verankerung geschlechtsbezogener Arbeit mit Jungen (und Mädchen) als Querschnittsaufgabe und mit eigener Förderposition, um so neue Projekte in den Bereichen §§ 11 bis 14 SGB VIII anzustoßen.
Der jugendhilfepolitische Auftrag wurde dann mit dem vom Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen am 06. Oktober 2004 verabschiedeten Kinder- und Jugendförderungsgesetz (KJFöG – 3. Ausführungsgesetz SGB VIII) gesetzlich verankert. In § 4 ist die „Förderung von Mädchen und Jungen“ im Sinne einer geschlechterdifferenzierten Kinder- und Jugendarbeit als Aufgabe für alle Träger und Fachkräfte in der Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit, Jugendsozialarbeit und dem erzieherischen Kinder- und Jugendschutz festgeschrieben. Konkret heißt es:
„Bei der Ausgestaltung der Angebote haben die Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe die Gleichstellung von Mädchen und Jungen als durchgängiges Leitprinzip zu beachten (Gender Mainstreaming). Dabei sollen sie
- - die geschlechtsspezifischen Belange von Mädchen und Jungen berücksichtigen,
- - zur Verbesserung ihrer Lebenslagen und zum Abbau geschlechtsspezifischer
- Benachteiligungen und Rollenzuschreibungen beitragen,
- - die gleichberechtigte Teilhabe und Ansprache von Mädchen und Jungen
- ermöglichen und sie zu einer konstruktiven Konfliktbearbeitung befähigen
- - unterschiedliche Lebensentwürfe und sexuelle Identitäten als gleichberechtigt
- anerkennen.“
In § 10 des Gesetzes wird die geschlechterdifferenzierte Mädchen- und Jungenarbeit zudem als besonderer Schwerpunkt ausgewiesen. Jungenarbeiter, Mädchenarbeiterinnen und ihre Landesarbeitsgemeinschaften haben in NRW im dialogischen Verfahren mit dem Jugendministerium und Jugendpolitiker/-innen zur gesetzlichen Umsetzung dieser Leitlinien beigetragen.
Damit müssen Fachkräfte und Träger heute nicht mehr legitimieren, warum geschlechtsbezogene Angebote für Jungen oder Mädchen durchzuführen sind. Vielmehr geht es darum vorhandene Programme und die - eigene - Praxis kritisch zu reflektieren und zu klären,. wie solche jungen-/mädchenspezifische Angebote machbar sind. Oder, anders ausgedrückt: Es geht nicht mehr darum, ob es in den verschiedenen Leistungsfelder geschlechtsbezogene Angebote geben soll und wie diese legitimierbar sind – sondern nur mehr darum, wie es gelingen kann, diese zu realisieren.
Und dann ist da noch Gender Mainstreaming.
Gender Mainstreaming (GM) geht zurück auf die Gleichstellungspolitik der Europäischen Union. GM ist ein politisches Steuerungsinstrument, mit dem die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in allen Lebensbereichen erreicht werden soll. Es geht darum, die Geschlechterperspektive als integralen Bestandteil aller Politik- und Verwaltungsfelder zu verankern.
1996 haben sich alle Staaten der Europäischen Union im sog. Amsterdamer Vertrag dazu verpflichtet, GM als Leitprinzip in ihrer Politik zu realisieren – was auf EU-Ebene u.a. eine Verankerung in den Förderrichtlinien des Europäischen Sozialfonds (ESF) zur Folge hatte. In Deutschland hat das Bundeskabinett mit Beschluss vom 23.06.1999 GM als durchgängiges Leitprinzip anerkannt. Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend hat mit der Neugestaltung der Richtlinien des Kinder- und Jugendhilfeplanes (KJP 2001) die Notwendigkeit geschlechterdifferenzierender Zugänge bei allen KJP geförderten Maßnahmen als eine Aufgabe mit besonderer Bedeutung verankert.
Die Diskussion über GM ist aus der Sicht der Jungen- und Mädchenarbeit zu begrüßen, sind doch nunmehr alle Politik- und Verwaltungsfelder, also nicht nur die Bereiche Jugendhilfe, Schule, Weiterbildung, aufgefordert, sich der Geschlechterfrage zu stellen. Das unterstützt die notwendige (Weiter-)Entwicklung von Jungenarbeit weg von einem oft noch vorhandenen Nischendasein – hin zu einem integralen Bestandteil der Programme und Angebote in allen Handlungsfeldern, in denen mit und für Jungen (pädagogisch) gearbeitet wird So war die LAG Jungenarbeit NW in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren, z.B. beratend, nicht nur im Jugendhilfebereich aktiv, sondern auch in den Feldern Schule, Weiterbilddung, Arbeit, Innenministerium/Polizei.